Entwicklung der Herbst-Rastbestände des Kranichs im
Oberen
Rhinluch und östlichen Havelländischen Luch
Nur 60 km nordwestlich des Berliner Stadtzentrums erstreckt sich auf einer
Fläche von ca. 15.000 ha das Obere Rhinluch. Noch in der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts zeichnete sich dieses Niedermoor durch seinen, in weiten
Teilen naturnahen Charakter aus. Birkhuhn, Seggenrohrsänger, Großtrappe,
Große Rohrdommel und verschiedene Limikolenarten prägten zu jener
Zeit die Vogelfauna der Luchlandschaft (HESSE 1910, 1914). Nur weniger als
5 % Flächenanteil - z. B. Naturschutzgebiet "Kremmener Luch"
- erinnern gegenwärtig an den ursprünglichen Zustand des Gebietes.
Monotones Grünland, eintönige Pappelreihen, nahezu ganzjährig
niedrige Grundwasserstände (nicht selten 80-120 cm unter Flur) und
degradierte Böden bestimmen heute den Charakter dieser Landschaft.
Das Obere Rhinluch zählt zu den am besten erforschten Niedermooren
Europas. So liegen mehrere hydrologische Studien und komplexe Langzeituntersuchungen
vor (KRETSCHMER 2000). Ein darauf basierender Agrarstruktureller Entwicklungsplan
(HASCH et al. 2005) beinhaltet mittelfristig die nachhaltige Vernässung
von 14 bis 19 % der als Grünland genutzten Fläche. Derzeit jedoch
bestimmt das extensiv genutzte, tiefgreifend entwässerte Grünland
den Gebietscharakter. Nur wenige, ubiquitäre Vogelarten finden hier
geeignete Brutplätze. Jedoch nimmt die Zahl der im Rhin- und Havelländischen
Luch rastenden Zugvögel in den letzten 2 Jahrzehnten stetig zu. Dieses
Phänomen ist auch Ausdruck der sich stabilisierenden Kranich- und Gänsepopulationen
in Mittel- und Osteuropa. Im Herbst ziehen etwa 170.000 Kraniche entlang
der westlichen Zugroute in Richtung Iberische Halbinsel zu ihren Winterquartieren.
Auf dieser langen Reise finden sich ungefähr 130.000 Kraniche zu einer
Zwischenrast in Deutschland ein, wobei das Rastgebiet bei Linum inzwischen
zentrale Bedeutung zukommt. So hielten sich allein in diesem Raum im Herbst
2006 gleichzeitig bis zu ca. 80.000 Kraniche auf.
Darüber hinaus finden sich hier zeitweise mehr als 50.000 Gänse,
tausende Enten und Limikolen, hunderte Höcker- und Singschwäne
sowie ca. 30 Silberreiher ein. Das Obere Rhinluch bietet den Zugvögeln
großräumig ungestörteRuhezonen mit Vorsammel-, Rast- und
Schlafplätzen. Damit handelt es sich um eines der wichtigsten Gebiete
Brandenburgs für den Schutz einiger Vogelarten und wurde folgerichtig
im Jahr 2004 als Europäisches Vogelschutzgebiet (SPA Rhin-Havelluch,
EU-Nr. DE 3242-421, HIELSCHER 2005) an die EU gemeldet. Entscheidend hierfür
ist die relative Unzerschnittenheit des Gebietes mit nur wenigen, das Luch
erschließenden Straßen bzw. Wirtschaftswegen. Schließlich
beschränken der zentrale Rhinverlauf mit nur wenigen Brücken,
die zahlreichen Entwässerungsgräben und die großen, mit
Rindern beweideten Koppeln die touristische Nutzung auf die Randbereiche
der Luchlandschaft. Ein weiterer für die Vogelrast entscheidender Aspekt
ist das nahezu unbegrenzte Nahrungsangebot auf den umliegenden Ackerflächen,
wobei vor allem die ausgedehnten Maisstoppelfelder aber auch Winter- und
Frühjahrssaaten eine große Rolle spielen.
Die Zugvögel ziehen seit Anfang der 1990er Jahre eine wachsende Zahl
naturinteressierter Besucher an. Hauptattraktion ist die herbstliche Kranichrast.
Das Schauspiel der abendlich zu tausenden einfallenden Kraniche und Gänse
verschafft Besuchern unvergessliche Eindrücke und bietet dem Naturschutz
die Chance, eine breite Öffentlichkeit für die Verwirklichung
von Visionen zu gewinnen.
Andererseits gehen mit den erheblichen Besucherzahlen auch Störungen
einher, die - nicht zu Unrecht - in den Reihen der Naturschützer auf
Kritik stoßen.
Weitere Anziehungspunkte, wie das Storchendorf Linum, mit bis zu 14 Weißstorch-Brutpaaren
oder das Teichland Linum mit den Vorkommen weiterer seltener Tierarten sorgen
auch im Frühjahr und Sommer für einen zunehmenden Besucherstrom.
Nachfolgend werden die wesentlichen Ansätze eines Managementkonzeptes
vorgestellt, das sowohl das Verhalten der Zugvögel als auch der Besucher
des Rastplatzes aufeinander abstimmen soll. Hierbei steht der Kranichzug
aufgrund seiner gebietsspezifisch herausragenden Relevanz im Vordergrund,
was nicht heißt, dass andere Arten im Rahmen dieser Überlegungen
unberücksichtigt bleiben.